IVR Strategie

Die Renaissance eines vergessenen Touchpoints

25. August 2020

Touchpoint

Sie ist eine stiefmütterlich behandelte Insel, ein notwendiges Übel, mit der eigentlich niemand etwas zu tun haben möchte. Ich spreche von der Service Line Ihrer Organisation.

Ja genau, dem Kanal, den der geneigte Kunde üblicherweise dann wählt, wenn er ein Problem hat. Wenn er nicht weiterkommt, unsicher ist, online keine Lösung findet oder sich einfach in einer Situation befindet, in der er sein Anliegen mit einem Homo Sapiens besprechen möchte. Und dafür zum Hörer greift.

Und dies haben in den letzten Monaten – vor allem natürlich während des Lockdowns – überdurchschnittlich viele Menschen getan. Was diesem Touchpoint einen Zulauf beschert hat, den niemand erwartet hätte. Was für Organisationen eine überdurchschnittlich hohe Auslastung der Phone Services bedeutet hat. Was vorhandene Defizite (für die Mitarbeitenden teilweise überdurchschnittlich schmerzlich) ans Tageslicht befördert hat. Und da die Welt wohl nicht mehr die gleiche sein wird, kann man davon ausgehen, dass die gestiegene Relevanz dieses Kanals Bestand haben wird.

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Die Anruferschaft vorab abzufedern und zu kanalisieren ist die Aufgabe des IVR (Interactive Voice Response System). Das ist dort, wo der Anrufer sich erst einmal durch einen häufig eher technikgetriebenen Menüdschungel durchtippen muss. Dann gehts in die On-hold-Zone, dort, wo eben gerade aktuell besonders viel Durchhaltevermögen gefragt ist. Nun, überlange Wartezeit in der On-hold-Zone ist ein strukturelles Problem, welches nicht so einfach und schnell gelöst werden kann. Die Gestaltung dieser aufgezwungenen Geduldsprobe jedoch schon. Leider ist diese nur allzu häufig mit überdurchschnittlich generischer «Düdeldüh»-Musik gefüllt, welche vor Jahren einmal random ausgewählt wurde. Vielleicht wird diese noch unterbrochen von redundanten Zusatzbotschaften à la: «Wussten Sie, dass Sie uns auch unter wewewe.dadeldah.ch erreichen können?». Nein, ich möchte nicht mit dem Live Agent tauschen, der einen Anrufer nach 17 min Wartezeit entgegennimmt.

Touchpoint

Einer Organisation zu unterstellen diesen Touchpoint extra unattraktiv zu gestalten, um ihre Kunden auf einen anderen Kanal zu lenken, ginge sicher zu weit. Aber den Vorwurf von zwei verpassten Chancen müssen sich einige gefallen lassen: eine scharfe, ansprechend gestaltete Brand Experience zu bieten sowie die Phone Services – im Sinne von «best channel for the task» – als Teil eines gesamtheitlichen Systems zu betrachten. Zum Beispiel durch geschickte Benutzerführung (Anbindung an das CRM zur Kundenerkennung) oder mit Integration von Chatbots und Webservices (Erledigung von Standard-Tasks wie etwa Terminvereinbarungen oder Bewertung abgeben). Ein kanalübergreifender Journey eben, der eine kohärente, emotionale Markenwahrnehmung garantiert und das konkrete Bedürfnis eines Kunden effizient befriedigt. Und damit Ihrer Organisation mehr als nur einen Gefallen tut.

Touchpoint

Wir haben Research und Benchmarking betrieben und uns Schweizer Service Lines, IVRs und On-hold-Zonen genauer angehört. Und dabei viele interessante Beobachtungen gemacht. Auch durchaus erfreuliche: So hat beispielsweise das alte Muster der Telefon-Sekretärin ausgedient, es lässt sich eine klare Gender Equality feststellen. Aber wir haben auch mehr als einmal die Augenbraue der Verwunderung hochgezogen: Eine Auswahl von 6 Menü-Optionen (Länge: 47 Sekunden, keine Möglichkeit der Wiederholung, von drei verschiedenen Sprechstimmen präsentiert) hinterlässt beim Kunden eher Verwirrung und Verunsicherung und nicht wirklich ein Gefühl von Aufgehobensein und Verstandenwerden. Call routes durch die UX-Brille anschauen hilft! Und leider ist in der Schweiz das besagte Cross-und Omnichanneling immer noch eher die Ausnahme. Die Service Line einer Organisation sagt einiges über den Status quo ihrer Digitalisierung aus.

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Und es ist auch klar, dass diese leicht anachronistisch anmutende, analoge Anlaufstelle sich nicht von heute auf morgen in ein Gesamtkonzept integrieren lässt. Aber schon einfache Massnahmen haben eine grosse Wirkung auf die User Experience: Was macht der Homo modernus, wenn er in einer Wartezone landet? Richtig, er schaltet auf Lautsprecher, legt das Telefon hin und widmet sich etwas anderem. Wenn nun eine ausgespielte Zusatzbotschaft mit Musik hinterlegt ist, dann erspart dies dem Anrufer die Hechtrolle zum Phone – weil er weiss, dass er noch nicht mit einem Live Agent verbunden ist.

Touchpoint

Je besser die On-hold-Zone orchestriert ist (Länge/Frequenz der Botschaften, markenpassende Stimme sowie Musik, welche mit der Sound Identity und dem Touchpoint abgestimmt ist etc.), desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Anrufer eine gewisse Wartezeit in Kauf nimmt. Nach 3 Minuten ist allerdings Schluss: Gemäss Studien hängen über 80% spätestens dann auf. Der Nachgeschmack variiert dabei stark: Wird etwa regelmässig die Wartezeit angesagt, kann der Anrufer selber aktiv werden und entscheiden, ob er warten oder später nochmals anrufen will. Wenn ihm jedoch ein orchestrales Gewitter mit Pauken und Trompeten entgegenschmettert, wird er eher früher und mit blutendem Ohr auflegen und sich sehr genau überlegen, ob er sich dies in Zukunft noch einmal antun soll.

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Nein, besonders sexy ist er nicht, der Touchpoint Telefon. Aber unverzichtbar für einen ganzheitlichen Customer Journey! Und auch immer noch ein häufiger Erstkontakt – entsprechend Teil der Visitenkarte. Gleichzeitig ist die Service Line eine personalintensive Abteilung, wo aber eigentlich durch geschickte technische Integration grosses Potential für Effizienzsteigerung liegt (Extrembeispiel: FedEx hat ein Voice-Recognition-System entwickelt, welches eine Konversation auf Englisch und Französisch ermöglicht und damit 11 Mio. Live-Agent-Kontakte eliminiert – pro Tag).

Geben Sie diesem ungeliebten Kind doch etwas Liebe! Denn die Absicht eines Anrufers ist immer dieselbe: Er will mit Ihnen sprechen. Nutzen Sie die Gelegenheit, sich auch hier von Ihrer besten Seite zu präsentieren.

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Autor: Ph!L!pp Schweidler, veröffentlicht auf LinkedIn.

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