Interview mit persoenlich.com

Hören ist das neue Sehen.

8. Mai 2019

Interview Phil Schweidler Persönlich

Akustische Markenführung wird immer wichtiger. Philipp Schweidler, Partner und Geschäftsführer von Department of Noise, erklärt, was erfolgreiches Audio Branding ausmacht. Ein Gespräch über Alltagskakophonie, Ausrufezeichen und Ausserirdische.

Herr Schweidler, vermutlich jedes Kind kann die Migros-Melodie nachpfeifen. Wie neidisch sind Sie auf den Erfinder dieses Audio Brandings?

Das Migros-Audio-Logo, welches ja bereits eine «Sound-a-like»-Komposition aus den 90er-Jahren ist, steht in der Schweiz – zusammen mit dem der Swisscom – sinnbildlich für «The Power of Sound» in der Markenkommunikation. Dass es noch heute in dieser Konsequenz eingesetzt wird, zeugt von Qualität und Flexibilität der Komposition unter erschwerten Bedingungen bei der Kreation. Und davor ziehe ich meinen Hut.

Nach der Migros hört es bei mir aber schon bald einmal auf. Aus dem Stegreif kommen mir kaum akustische Logos von Firmen in den Sinn. An was liegt es?

Können Sie die Bildmarke der Swisscom auswendig zeichnen? Wobei der Vergleich nur teilweise funktioniert, weil visuelle Kommunikation ja endlos lange angeschaut werden kann. Sound hingegen dringt – ob wir wollen oder nicht – blitzschnell direkt ins Unterbewusstsein ein, triggert dort Emotionen und zieht dann – flüchtig wie Sound eben ist – wieder von dannen. Wenn jedoch dieser Sound beim nächsten Kontakt mit der Marke wieder stattfindet, dann erinnern Sie sich daran – die Marke wird spürbar. Und wenn dieser Sound dann auch noch gut ist und die Marke verkörpert, dann leistet er einen relevanten Beitrag zur Vertrauensbildung. Und genau da liegt der Schlüssel für erfolgreiches Audio Branding.

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«Der Mensch kann wegschauen, aber nicht weghören und schon gar nicht wegfühlen»

Wie nimmt der Konsument die auditiven Signale genau wahr?

Üblicherweise über die Ohren, ab gewisser Lautstärke auch übers Zwerchfell (lacht). Spass beiseite: Der Mensch kann wegschauen, aber nicht weghören und schon gar nicht wegfühlen. Sound bietet einen direkten Zugang ins limbische System, dort, wo Emotionen verarbeitet werden. Entsprechend ist die Klaviatur der Wahrnehmungspsychologie ein wichtiger Teil unseres Instrumentariums. Der Kopf findet immer ein Argument für den Entscheid, den der Bauch trifft.


Ist Audio Branding tatsächlich wichtig – oder reden Sie das Ihren Kunden einfach nur ein?

Die Frage ist eher, wie lange ich als Brand es mir noch erlauben kann, die Erarbeitung meiner Sound Identity vor mir herzuschieben. Die Welle der Voice User Interfaces ist nicht mehr aufzuhalten, weitere Audio-only-Touchpoints kommen dazu. Da sollte sich der zukunftsblickende Marketer langsam Gedanken machen, wie er seine Marke in einer Welt ohne visuelle Cues spürbar machen kann. Die Zeit der First Movers ist schon länger vorbei. Ansonsten bin ich in meiner Wahrnehmung kein sonderlich guter Verkäufer – aber ich kann mit Leidenschaft über unser Thema sprechen. Eine unverkennbare, emotionale Identität wird in Zukunft die zentrale Währung für den Markenerfolg sein. Und hierzu können wir einen echten Beitrag leisten.

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«Es lässt sich ein zunehmender Bedarf nach einer geschärften Tonspur ablesen»

Es gibt aber wesentlich mehr patentierte Bildmarken als Hörmarken …

… welche sich zum Beispiel in Deutschland in den letzten 20 Jahren doch immerhin verdreissigfacht haben. Da lässt sich schon ein zunehmender Bedarf nach einer geschärften Tonspur ablesen, und zwar schon vor Smart Speakers und Co. Aber damit mir hier keiner den Fundamentalisten anhängt: Das visuelle Erscheinungsbild einer Marke wird deswegen nicht abgewertet oder gar verschwinden. Vielmehr geht es um eine zusätzliche Sinnesebene, welche – gerade auch im multisensorischen Verbund – einer Marke helfen kann, sich im Bauch der Rezipienten auszubreiten. Und dass die Ansprache der Rezipienten bei einer Zunahme der Audio-only-Touchpoints angepasst werden muss, ist klar.

Hat sich Audio Branding in den letzten Jahren durch die Digitalisierung stark verändert?

Die Digitalisierung hat uns neue Kreations- und Analysetools beschert. Und sie hat neue, vielfach audiovisuelle Kanäle und Touchpoints geöffnet. Interaktive Markenerlebnisse, die ungebremste Verbreitung von Kopfhörern sowie die zunehmende visuelle Übersättigung haben ebenfalls zu einem steigenden Bedürfnis nach geschärftem Markenklang beigetragen. Und eine animierte Bildmarke ohne Sound wirkt nun mal etwas unfertig.


Und welche Herausforderungen kommen noch? Ich denke da die von Ihnen erwähnten sprachgesteuerten Lautsprecher, aber auch künstliche Intelligenz …

Die zentrale Aufgabe für uns wird dieselbe bleiben: Einer Marke eine eindeutige, emotional starke akustische Identität zu geben. Ob auf dem Weg dahin irdische Algorithmen oder ausserirdische Intelligenz zum Einsatz kommen – zum Beispiel bei der Analyse oder in der Produktion – ist nebensächlich. Was will ich als Marke auf der auditiven Ebene aussagen? Wie kann ich mich emotional noch besser beim Rezipienten verankern? Mich differenzieren? Wie fühlt sich meine gesprochene Tonalität an? Solche Fragen müssen auf der strategischen Ebene angegangen werden. Und dann so beantwortet und umgesetzt werden, dass das Ergebnis nicht nur richtig ist, sondern auch Spass macht, Sympathie vermittelt und dadurch einen effektiven Mehrwert bietet.


Nehmen wir die noch junge Bank Cler als Fallbeispiel. Woher wussten Sie beim Komponieren des Audio-Logos, wie die Bank klingen muss?

Ein Audio-Logo ist ja das klangliche Destillat einer Marke, runtergedampft auf etwa drei Sekunden. Dieses isoliert zu betrachten ist eine sehr abstrakte und entsprechend risikoreiche Sache. Deshalb entwickeln wir initial eine «Sound-DNA», ein effektives Stück Musik, welches auch wirklich ein «Brand Feeling» vermittelt und im Kontext beurteilt werden kann. Das somit geschaffene Spielfeld dient als Basis für die gewünschten Sound Assets. Dies gibt allen Beteiligten Sicherheit. Und zukünftige Touchpoint-Adaptionen können schnell und flexibel entwickelt werden. Dabei kann man dieses Spielfeld durchaus auch mal verlassen… Aber um Ihre konkrete Frage zu beantworten: Es ist ein Prozess, der dahin geführt hat.

Sie tönten es an: Mit einem Audio-Logo ist es noch nicht getan. Was gehört zur akustischen Identität einer Marke noch dazu? Bleiben wir der Bank Cler.

Die Sound Assets sind natürlich immer von den Touchpoints abhängig. Die Bank Cler hat die Kraft der Kohärenz erkannt und spielt ihre Sound Identity entsprechend konsequent aus: Neben dem bereits erwähnten Audio-Logo wurden mehrere Soundscapes für Multimedia-Anwendungen sowie On-Hold-Musik für ihr Telefon-Service-Center produziert, es gibt ein vertontes Motion-Toolkit, Ring-/Messagetones, eine mehrkanalige, gebrandete Streaminglösung zur Beschallung der Geschäftsstellen, Guidelines zur Auswahl von Library-Music und – last but not least – Markenstimmen in den Landessprachen. Der Brandsound-Movie gibt einen guten Überblick über unsere Arbeit für die Bank.

Klingt eine Marke am TV anders als beispielsweise auf Youtube oder Facebook?


Der Markenklang, das «Brand Feel», soll natürlich über alle Kanäle spürbar bleiben. Aber, um nochmals einen Vergleich zum visuellen Branding anzustellen: Die Filialen der UBS sind ja auch nicht durchgehend rot gestrichen. Auch im Audio Branding haben die Touchpoints, deren Kontext und die Kommunikationsabsicht dahinter immer einen Einfluss auf die Ausgestaltung der Assets.

Können für ein und dieselbe Marke auch verschiedene Emotionen vermittelt werden?

Ja klar. Die Frage ist immer, welche Aspekte und Ambitionen einer Marke auf die auditive Ebene übersetzt werden sollen. Sind es deren zu viele oder stehen diese in zu starkem Spannungsfeld zueinander, dann droht die Gefahr einer «graubraunen Sauce» – wie häufig, wenn die eierlegende Wollmilchsau bestellt wird. Sicher ist jeweils nur eines: Es gibt kein Patentrezept bei der Übersetzung in Klang. Gefragt ist ein starkes Konzept, welches die Marke trägt.

Wir reden hier vor allem von Musik. Bei Radio- und TV-Spots braucht es auch einen Off-Sprecher. Wie wichtig ist hier Exklusivität?

Wenn zwei direkte Mitbewerber bei einer Marketingmassnahme den gleichen Sprecher verwenden, dann hilft dies dem geneigten potenziellen Kunden bestimmt nicht bei der Kaufentscheidung. Allerdings muss eine Stimme schon herausstechende Merkmale hinsichtlich Akzent oder Tonfall besitzen, damit sie ein spezifisches Markengefühl unterstützt. Da fällt die inhaltliche Tonalität bedeutend mehr ins Gewicht. Branchenexklusivität ist selten, da entweder zu teuer für die Kundin und/oder ein existenzielles Problem für den Sprecher.

Sie selbst schreiben Ihren Vornamen jeweils mit umkehrten Ausrufezeichen: Ph!L!pp. Was hat das zu bedeuten?

Ein Auswuchs meiner Vorliebe für Design und Symmetrie. Ich sehs schon gar nicht mehr. Aber es ist erstaunlich, wie viele Menschen sich im Mail-Verkehr die Mühe machen – ich hoffe, es hat sich noch keiner dabei die Finger gebrochen.

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«Wir sind gerne laut, ohne zu schreien»

Ihre Agentur nennt sich Department of Noise. Können Sie nur Lärm oder beherrschen Sie auch die leisen Töne?

Stille richtig eingesetzt ist ein äusserst schlagkräftiges Instrument! Wir bei Department of Noise sind gerne laut, ohne zu schreien. Wir kämpfen gegen die Alltagskakophonie, welche unser Hirn verklebt und uns abstumpfen lässt. Hingegen lieben wir es, auch mal auf unkonventionelle Weise einem Brand zu helfen, emotionale, auditive Markenerlebnisse zu schaffen, welche Menschen spürbar bewegen, berühren und inspirieren. Und machen damit Marken fit für eine Welt, in der Audio immer wichtiger wird.


Zurück zur Migros: Wie fatal wäre es, wenn der orange Riese eines Tages das Audio-Logo ändern würde?

Fatal wär es, wenn die Migros die Nussstängeli aus dem Sortiment nehmen würde (lacht). Im Ernst: Sie würde ein markenstrategisch zentrales Asset verlieren, welches über die letzten 30 Jahre aufgebaut wurde und äusserst vielfältig einsetzbar ist. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor einer Sound Strategy ist die mehrjährige, konsequente Anwendung, da sind Brands, die sich aktuell damit befassen oder schon befasst haben, gut aufgestellt für kommende Anwendungen. Und da die Migros in der Schweiz an vorderster Front an Anwendungen für «Voice first» arbeitet, mache ich mir wenig Sorgen, dass da etwas schief läuft.

Veröffentlicht auf persoenlich.com

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